Redebeitrag vom 27.01.2024: „Gedenken in Deutschland“

Wir dokumentieren hier einen Redebeitrag von unserer Kundgebung am 27.01.2024:

Beim Gedenken geht es in Deutschland immer um mehr als die Erinnerung die Opfer des Nationalsozialismus. Das Gedenken ruft zugleich die Täter und ihre Taten ins Gedächtnis. Immer dann, wenn es heißt „Gerade wir als Deutsche“ oder die Rede ist von einer „besonderen Verantwortung Deutschlands“, dann geht es um die Täter. Welche Konsequenzen haben ihre Verbrechen? Verpflichten sie nachfolgende Generationen?  Und wenn ja, wozu verpflichten sie? Wer ist gemeint, wenn es heißt „Nie Wieder“? Um diese Frage zu beantworten, musss man zurück schauen, denn aus den Verbrechen der Vergangenheit leitet man in Deutschland gern Aufträge für die Zukunft ab. Der Inhalt dieser Aufträge variiert. Der Auftraggeber ist man selbst.

Im Jahr 1953, wurde das Luxemburger Abkommen ratifiziert. Acht Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sicherte die Bundesrepublik dem Staat Israel wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung zu. In beiden Staaten war das Abkommen damals höchst umstritten. In Deutschland befürchtete man unter anderem arabische Staaten zu verprellen, die Israel den Krieg erklärt hatten. In Israel wollte man mit den Tätern nicht verhandeln. Der Auftrag dieser frühen Bonner Republik war die moralische und materielle Wiedergutmachung. Dabei hat nicht allein die Moral, sondern vielmehr Opportunismus und Druck der Alliierten eine entscheidende Rolle gespielt. Trotzdem leistete Deutschland damit einen Beitrag zum Aufbau des Staates der Überlebenden. Auch zu dessen Fähigkeit sich zu verteidigen. 1957 schlossen die Staaten eine inoffizielle Verteidigungskooperation. Noch bevor sie offiziell diplomatische Beziehungen aufnahmen.

Bei der Verfolgung der Täter im eigenen Land war die BRD weniger engagiert. Bereits 1949 wird mit dem Slogan „Schlussstrich drunter!“ für ein Ende der Entnazifizierung geworben. Mit dem Entnazifizierungsschlussgesetz von 1951 bleiben dann viele Nazis in Amt und Würden.

Gegen diese personellen Kontinuitäten richten sich Ende der 60er Jahre Proteste der Studierenden an deutschen Universitäten. Doch nicht nur dagegen. Die Studierenden proben nachträglich jenen Ungehorsam, den ihre Eltern gegen Hitler nicht zustande brachten. Ihr Protest richtet sich dabei nicht nur gegen die BRD, sondern auch gegen die USA und gegen Israel. 1969 beschimpfen Frankfurter Studenten den israelischen Botschafter als Faschisten. Dass der nur 30 Jahre zuvor selbst vor den Faschisten geflohen war, das stört sie nicht. In der Linken macht sich ein „ehrbarer Antisemitismus“ (Jean Améry) breit. 1976 entführen deutsche und palästinensische Terroristen eine Air France Maschine auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris. Es sind die Deutschen, die die Selektion der jüdischen Geiseln übernehmen. Im Kampf gegen Imperialismus und Faschismus fühlen sie sich zu allen Maßnahmen berechtigt. Dabei wollten sie doch nie werden wie ihre Eltern.

Mitte der 80er gedenken Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg den Opfern des Nationalsozialismus. Auf diesem Friedhof liegen auch Männer der SS begraben. Im Anschluss besuchen sie die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Bergen-Belsen. Jürgen Habermas nennt es den Versuch einer „Entsorgung der Vergangenheit“. Günther Grass, dessen eigene SS-Mitgliedschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, spricht von „Geschichtsblindheit“.

Mitte der 90er Jahre  wird der 27. Januar zum offiziellen Gedenktag. Kurz darauf beklagt Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche Auschwitz würde für „gegenwärtige Zwecke“ instrumentalisiert; zu einem „Einschüchterungsmittel“ und zu einer „Moralkeule“ gemacht. In diese Zeit fällt auch die Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Walser nennt es eine „Monumentalisierung der Schande“.  Bei der Feierstunde zum 5-jährigen Jubiläum des Mahnmals wird jedoch nicht voller Schande, sondern voller Stolz verkündet: Andere Länder würden die Deutschen um dieses Denkmal beneiden. Die Deutschen könnten nun wieder aufrecht gehen, weil sie aufrichtig gewesen seien. Man wird bald merken wie sich das dann anhört.

2012 diskutiert Deutschland über die Lieferung von U-Booten an Israel. Günther Grass meldet sich mit einem Gedicht in der Süddeutschen Zeitung zu Wort. Nicht das Atomprogramm des Iran, der Israel offen mit Vernichtung droht, sondern Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden. Die Lieferung würde „mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert“, doch Deutschland drohe damit zum „Zulieferer eines Verbrechens“ zu werden. Er klagt er über das „Verdikt des Antisemitismus“, das über seine Israelkritik gesprochen würde, die doch nur gut gemeint sei.

2021 wird wieder vor einer Instrumentalisierung der deutschen Geschichte gewarnt. Dieses Mal geht es um die inklusive Gesellschaft, um postkoloniale Perspektiven, um multidirektionales Gedenken. Man will sich von einem provinziellen deutschen Gedenken befreien und so den Raum für diese unterschiedlichen Perspektiven zu schaffen. Auch das ist Arbeit am deutschen Selbstverständnis. Gemeint sind vor allem Perspektiven der antisemitischen BDS-Bewegung. Gemeint sind postkoloniale Perspektiven, die vom Siedlerkolonialismus schwadronieren und Israel das Recht seiner Existenz bestreiten. Und immer wieder die Behauptung diese Stimmen würden nicht gehört und durch Auschwitz mundtot gemacht. Als hätte es die documenta 15 nicht gegeben. Als würden postkoloniale Theorien an deutschen Universitäten nicht gelehrt. Diese Behauptungen, man dürfe wegen Auschwitz ja nichts mehr sagen, haben Tradition im Erinnerungsdiskurs.

Was also bedeutet heute die Forderung „Nie wieder“?  Was bedeutet es, wenn man fordert „Gedenken heißt kämpfen“? Am siebten Oktober des letzten Jahres verübten die Hamas und ihre Helfer das größte und brutalste antisemitische Massaker seit 1945. Nur wenige Tage später fordern Demonstrationen in deutschen Großstädten die Befreiung Palästinas. Die Befreiung Palästinas vom Mittelmeer bis zum Fluss Jordan. Und die Befreiung Palästinas von deutscher Schuld. Was sie fordern ist ein Palästina frei von Jüdinnen und Juden. Was sie fordern ist die deutsche Komplizenschaft mit diesem Vorhaben. Vielmehr ist dazu nicht zu sagen. Man muss ihnen nur zuhören. 

Wer nicht nur Gedenken, sondern kämpfen will, der sollte spätestens jetzt begriffen haben wofür und gegen wen.



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